Kritische Nährstoffe und wo sie zu finden sind – Vitamin B12

Beitragsbild Vitamin B12

Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Nährstoff, der so schnell mit einer veganen Ernährung in Verbindung gebracht wird, wie Vitamin B12. Leider herrscht hier immer noch bei Vielen große Verunsicherung und auch innerhalb der veganen Bewegung sind sich noch nicht alle einig – deshalb werden wir dieses Thema heute genauer unter die Lupe nehmen und die wichtigsten Fragen rund um die Vitamin B12-Versorgung klären. Viel Spaß!

Was ist Vitamin B12 überhaupt und wofür benötigen wir es?

Wie so oft bei Vitaminen ist nicht eine ganz bestimmte chemische Verbindung gemeint, sondern gleich mehrere Moleküle mit dem gleichen Grundgerüst – bei Vitamin B12 handelt es sich um sogenannte Cobalamine. Im menschlichen Körper gibt es vier wesentliche Vertreter dieser Gruppe, die sich durch ihren spezifischen Rest (also das, was zusätzlich an das Cobalamingerüst gebunden ist) voneinander unterscheiden lassen [1]. Diese Restgruppe ist ebenfalls für die unterschiedlichen Funktionen im Stoffwechsel verantwortlich. Falls jemand bei der nächsten Familienfeier mit chemischen Begriffen prahlen möchte: die Rede ist hier von Methyl-, Adenosyl-, Hydroxo- und Aquocobalamin. Neben diesen natürlich vorkommenden Formen existiert noch das synthetische Cyanocobalamin aus biotechnologischer Produktion, das wegen der hohen Stabilität häufig in Präparaten zu finden ist und im Körper in die natürlichen und biologisch aktiven Formen umgewandelt werden kann [2]. Nein, das war leider noch nicht chemisch genug. Denn um zu erklären, warum Vitamin B12 eine derart wichtige Rolle spielt, müssen wir ein wenig in den Bereich der Stoffwechselprozesse eintauchen. Bei den oben genannten Cobalaminen handelt es sich um sogenannte Coenzyme, d.h. sie verbinden sich mit körpereigenen Enzyme und unterstützen diese bei ihrer Arbeit. Ohne sie wären zahlreiche der für uns lebensnotwendigen Prozesse überhaupt nicht möglich. Zu diesen gehören der Energiestoffwechsel, der Lipidstoffwechsel, die DNA-Synthese und Blutbildung, die Herstellung wichtiger Botenstoffe (z.B. Serotonin) sowie der Abbau toxischer Substanzen [3]. Aus diesem Grund können die Symptome eines Vitamin B12-Mangels auch sehr unterschiedlich sein und damit unspezifisch erscheinen. Wir sehen also, dass die Gefahr einer Unterversorgung nicht unterschätzt werden sollte und es sich durchaus lohnt, den eigenen Vitamin B12-Status im Blick zu behalten.

Übersicht der Funktionen von Vitamin B12

Warum wird dann erst seit wenigen Jahren darüber gesprochen?

Als eines der letzten bisher entdeckten essenziellen Nährstoffe ist Vitamin B12 erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt [4]. Allerdings war das Wissen über die Notwendigkeit der Supplementierung bei einer veganen Ernährung selbst im Jahre 1993 noch nicht ausreichend weit verbreitet, sodass in einer Umfrage zu diesem Zeitpunkt über die Hälfte der vegan lebenden Personen angaben, dass sie von dieser Tatsache nichts wussten [5]. Glücklicherweise zeigen aktuellere Ergebnisse ein anderes Bild und immerhin fast 80 % der in 2016 befragten Veganerinnen und Veganer nahmen ein entsprechendes Nährstoffpräparat ein [6]. Obwohl die Anzahl weiter wächst, gibt es immer noch Menschen, die den deutlichen Empfehlungen nicht folgen möchten. Wie im oberen Abschnitt beschrieben, können die Folgen eines Vitamin B12-Mangels sehr vielfältig sein und die Symptome werden deshalb nicht immer richtig gedeutet. Hinzu kommt, dass ein tatsächlicher Mangel bei vollständig gefüllten Speichern erst Jahre nach der Ernährungsumstellung auftreten kann – übrigens ist die lange Speicherung eine seltene Eigenschaft unter den wasserlöslichen Vitaminen, zu denen Vitamin B12 gehört [7]. Diese Umstände können dazu führen, dass manche Menschen auf das eigene (Bauch-)Gefühl vertrauen und die Empfehlungen der Wissenschaftler nicht ernst nehmen, da sie in der ersten Zeit keine gesundheitlichen Probleme erleben. Außerdem gibt es gerade unter den Anhängern der veganen Ernährung das teilweise irrationale Bestreben, die eigene Nährstoffversorgung auf eine natürliche Art und Weise sicher zu stellen [8]. Warum es sich dabei nicht zwingend um den besten Weg handelt, schauen wir uns jetzt einmal genauer an.

Welche Vitamin B12-Quellen gibt es und wie können wir uns bedarfsgerecht versorgen?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir erst einmal verstehen, wo überhaupt der Ursprung von Vitamin B12 liegt. Viele glauben, dass tierische Produkte Vitamin B12 enthalten, weil sie es selbst herstellen können. Allerdings sind diese genauso wenig dazu in der Lage, wie wir. Auch die meisten Landpflanzen können Vitamin B12 nicht synthetisieren – das macht auch Sinn, da sie es selbst gar nicht benötigen. Es gibt zwar bestimmten Algenarten, die Vitamin B12 enthalten, allerdings besteht hier in Bezug auf die Bioverfügbarkeit der entsprechenden Varianten noch zu große Unsicherheit, weshalb ich mich darauf besser nicht verlassen würde [9]. Daneben wird immer wieder untersucht, ob Pflanzen, die auf einem Vitamin B12-reichen Boden wachsen, nicht zumindest ausreichende Mengen des Nährstoffs anreichern können. Allerdings scheint die dafür notwendige B12-Konzentration um ein Vielfaches höher zu sein, als es außerhalb des Labors unter normalen Umständen der Fall ist [10].

Vielleicht fragt ihr euch jetzt: Wenn weder Tiere (inkl. der Mensch) noch Pflanzen die eigentlichen Vitamin B12-Produzenten sind, was bleibt denn dann noch übrig? Hier kommen die häufig zu Unrecht vergessenen Mikroorganismen ins Spiel. Entsprechende Vertreter finden wir sowohl im Boden als auch im Verdauungstrakt von Tieren, zu denen wir ja bekanntlich auch gehören. Diese Tatsache führte bei manchen vegan lebenden Menschen zu der Überzeugung, dass sie sich durch den Verzehr von ungewaschenem Gemüse oder einfach durch die Eigenversorgung mithilfe der im Darm lebenden Bakterien ausreichend mit B12 eindecken können. Letzteres wäre natürlich schön, allerdings gibt es da einen kleinen Haken. Im Gegensatz zu den Wiederkäuer, die tatsächlich zur Eigenversorgung fähig sind, verläuft die Verdauung beim Menschen (im Normalfall) nur in eine Richtung. Da die Vitamin B12-produzierenden Darmbakterien im Dickdarm angesiedelt sind, die Absorption des Vitamins allerdings im davorliegenden Dünndarm stattfindet, wird zwar während unserer Verdauung Vitamin B12 produziert, allerdings danach zusammen mit den anderen unverdaulichen Nahrungsbestandteilen einfach wieder ausgeschieden [11]. Ja, genau. Unser Kot wäre eine super Vitamin B12-Quelle, was übrigens schon in den 1950er Jahren herausgefunden und sogar experimentell überprüft wurde. In diesem Versuch konnte aus dem Kot von Probanden mit einem Vitamin B12-Mangel, trotz fehlender Aufnahme über die Nahrung, soviel des Vitamins extrahiert werden, dass sich der Mangel durch die anschließende Injektion wieder ausgleichen ließ [12].

Natürlich, aber wenig ansprechend...

Tatsächlich ist es im Tierreich gar nicht so ungewöhnlich, die eigenen Exkremente für die Nährstoffversorgung zu nutzen (Stichwort: Koprophagie). Der ein oder andere Hundebesitzer kann dies evtl. bezeugen und auch unter Kaninchen, Schweinen, Pferden und einigen Primaten (um nur Beispiele zu nennen), kann dieses Verhalten beobachtet werden [13]. Auf diese Weise sind die Nährstoffe der eigenen Darmbakterien doch noch zugänglich. Wieder mal ein cleverer Schachzug der Natur und damit wahrscheinlich eine der natürlichsten Formen, um unsere Vitamin B12-Versorgung sicherzustellen. Andere Möglichkeiten wären Wasserquellen, die durch Kotrückstände in der Erde verunreinigt sind, der Verzehr von kontaminierten Pflanzen, von Insekten oder anderen Tieren (die bei einer veganen Ernährung ohnehin nicht in Erwägung gezogen werden). Das sind also die natürlichen Wege…allerdings bleibe ich persönlich dann doch lieber bei den unnatürlicheren Nährstoffpräparaten, die dabei auch noch deutlich hygienischer sind und von der Gesellschaft immerhin mehr akzeptiert werden, als das Betreiben von Koprophagie.

Übrigens: In der heutigen Nutztierhaltung wird das Futter aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls mit zahlreichen Nährstoffen, darunter Vitamin B12, angereichert [14]. Denn auch der „Lebensraum“ von ihnen hat sich durch uns Menschen drastisch verändert, sodass eine ausreichende Versorgung auf dem ursprünglichen Wege ebenfalls nicht mehr möglich ist. Hinzu kommt der allgemein höhere Nährstoffbedarf, der für das angestrebte Wachstum unter den gegeben Umständen der Intensivtierhaltung benötigt wird [15].

Ist ein Vitamin B12-Mangel ein "veganes" Problem?

Wie wir bereits im Beitrag „Sind sich die Ernährungsgesellschaften nicht einig?“ gelesen haben, sieht die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DEG) bei einer veganen Ernährung die Versorgung mit bestimmten Nährstoffen als kritisch [16]. Der wohl kritischste Nährstoff sei demnach Vitamin B12 – und damit hat die DGE leider recht.

Ohne eine entsprechende Supplementierung kann eine ausreichende Versorgung bei veganer Ernährung nach heutigem Wissensstand nicht stattfinden. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass sich dieses Problem durch eine geeignete Integration von Vitamin B12-Präparaten in Kombination mit entsprechend angereicherten Lebensmitteln beseitigen lässt [17]. Dies ist übrigens nicht nur eine gute Nachricht für alle vegan lebenden Menschen, sondern eigentlich für jeden Menschen. Das Risiko eines Vitamin B12-Mangels existiert nämlich nicht nur bei dieser Ernährungsweise, sondern ebenfalls bei allen anderen. Das amerikanische Pendant der DGE hat in ihrem Positionspapier darauf hingewiesen, dass beispielsweise für viele ältere Personen eine Supplementierung sinnvoll wäre [18]. Dies liegt unter anderem an der reduzierten Absorptionsleistung, d.h. obwohl genauso viel Vitamin B12 mit der Nahrung zugeführt wird, kann nur noch ein geringerer Anteil wirklich in den Körper aufgenommen werden. Eine derartige Malabsorption kann verschiedene Gründe haben und daher auch unabhängig vom jeweiligen Alter auftreten [19]. In der Framingham Offspring Studie wurde beispielsweise ebenfalls bei etwa 8 % der unter 30-jährigen Mischköstler ein Mangel nachgewiesen [20]. Die Frage sollte also nicht lauten, ob eine Vitamin B12-Supplementierung notwendig ist, sondern in welchem Maße und das vor allem unabhängig von der Ernährungsform. Um dies herauszufinden, wird eine regelmäßige Überprüfung der Versorgung durch eine geeignete Blutanalyse empfohlen, die dann als Grundlage für die individuelle Dosierung eines Nahrungsergänzungsmittels dienen kann.

Gute Gründe für eine Supplementierung

Quellen

  1. Martens JH, Barg H, Warren MJ, Jahn D. Microbial production of vitamin B12. Appl Microbiol Biotechnol. 2002 Mar;58(3):275-85.
  2. Obeid, R., Fedosov, S. N. & Nexo, E.(2015). Cobalamin coenzyme forms are not likely to be superior to cyano- and hydroxyl-cobalamin in prevention or treatment of cobalamin deficiency. Mol Nutr Food Res, 59(7), 1364–1372.
  3. Biesalski, H. K., Grimm, P. & Grimm-Nowitzki, S. (2015). Taschenatlas Ernährung. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 200.
  4. Biesalski, H. K., Grimm, P. & Grimm-Nowitzki, S. (2015). Taschenatlas Ernährung. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 200.
  5. Croft MT, Lawrence AD, Raux-Deery E, Warren MJ, Smith AG (2005). Algae acquire vitamin B12 through a symbiotic relationship with bacteria. Nature. 2005 Nov 3;438(7064):90-3
  6. Draper, A., Lewis, J., Malhotra, N. & Wheeler, E. (1993). The energy and nutrient intakes of different types of vegetarian: a case for supplements? Br J Nutr, 69(1), 3–19.
  7. Stahl, A., and Heseker, H. (2007). Vitamin B12 (Cobalamine). Physiologie, Vorkommen, Analytik, Referenzwerte und Versorgung in Deutschland. Ernährungs Umschau.
  8. Rittenau, Niko (2020). Vegan-Klischee ade!: Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung (Edition Kochen ohne Knochen) (German Edition). 7. Aufl. Ventil Verlag, Mainz 2018
  9. Richter M, Boeing H, Grünewald-Funk D, Heseker H, Kroke A,
    Leschik-Bonnet E, Oberritter H, Strohm D, Watzl B for the German
    Nutrition Society (DGE) (2016) Vegan diet. Position of the German Nutrition Society (DGE). Ernahrungs Umschau 63(04): 92–102. Erratum in: 63(05): M262
  10. Robbins, W. J., Hervey, A. & Stebbins, M. E. (1950). Studies on Euglena and Vitamin B12. Bulletin of the Torrey Botanical Club, 77(6), 423–441.
  11. Elmadfa, I. & Leitzmann, C. (2015). Ernährung des Menschen (5. Aufl.). Stuttgart: Eugen Ulmer Verlag, 475.
  12. Herbert, V. (1988). Vitamin B-12: plant sources, requirements, and assay. Am J Clin Nutr, 48(3), 852–858.
  13. McKeown, D., Luescher, A., & Machum, M. (1988). Coprophagia: Food for thought. The Canadian veterinary journal = La revue veterinaire canadienne, 29(10), 849–850.
  14. Europäische Kommission (2004). Verzeichnis der zugelassenen Futtermittel-Zusatzstoffe
  15. Anthis, K. & J. R. (2019). Global Farmed & Factory Farmed Animals Estimates. Zugriff am 22.10.2021. https://www.sentienceinstitute.org/global-animal-farming-estimates
  16. Rittenau, Niko (2020). Vegan-Klischee ade!: Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung (Edition Kochen ohne Knochen) (German Edition). 7. Aufl. Ventil Verlag, Mainz 2018
  17. Melina, V., Craig, W. & Levin, S. (2016). Position of the Academy of Nutrition and Dietetics: Vegetarian Diets. J Acad Nutr Diet, 16(12), 1970–1980.
  18. Lindsay H Allen (2009). How common is vitamin B-12 deficiency? The American Journal of Clinical Nutrition. Volume 89, Issue 2, February 2009, Pages 693S–696S
  19. Green, R. (2009). Is it time for vitamin B-12 fortification? What are the questions? Am J Clin Nutr, 89(2), 712–716.
  20. Tucker, K. L., Rich, S., Rosenberg, I., Jacques, P., Dallal, G., Wilson, P. & Selhub, J. (2000). Plasma vitamin B-12 concentrations relate to intake source in the Framingham Offspring Study. Am J Clin Nutr, 71, 514–522.

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Alica Ottenjann

Ernährungsberaterin mit einer Vorliebe für biochemische Prozesse und deshalb auch studierte Biomedizinerin. Zählt Aufräumen und ausgiebiges Einkaufen von Lebensmitteln zu den entspannenden Freizeitaktivitäten und kümmert sich seit 2020 liebevoll um ihre Sauerteigkulturen. Um die häufige Verunsicherung bei der Aussprache des Vornamens zu umgehen, hört sie dank ehemaliger Kolleg/innen auch auf den Namen Alice. Mit dieser Website hat sie sich ihr eigenes Wunderland erschaffen.

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